Chaos in Paris
Nach
langem Unterbruch fand 1984 wieder ein 6-Tagerennen in Paris statt. Ins Palais Omnisports
Paris Bercy, ein riesiger Neubau modernster französischer Architektur, gebaut
als Trainings- und Wettkampfstätte für viele Sportarten, baute man auch eine
200m-Holzpiste ein. Als Premiere sollte das erste Pariser 6-Tagerennen der
Neuzeit "angeschossen" werden. Veranstalter war die täglich
erscheinende französische Sportzeitung l'Equipe. Damals noch unter der Leitung
von Jacques Goddet, dem langjährigen Direktor der Tour de France. Eine Auswahl
der weltbesten Bahn- und Strassenfahrer wurde zu unüblich hohen Gagen
verpflichtet. Als sportlicher Leiter fungierte der 2-malige Tour de
France-Sieger Bernard Thévénet.
Daniel Gisiger, Patrick Moerlen und ich fuhren am Vortag des Anlasses nach Paris und waren bei der Ankunft vom impossanten Aussenanblick des Palais sehr beeindruckt. Ein harter Schlag traf uns jedoch, als wir uns ins Innere begaben, Alles war noch unfertig, chaotisch und die Bau-und Handwerksarbeiten waren noch arg im Verzug. Die frische Farbe tropfte noch von den Decken und wir hatten den Weg zur Bahn zwischen Baumaterial, Gerüsten und fluchenden Handwerkern zu suchen. Die eigentliche Rennbahn war fertig, aber es fehlten noch die Balustraden sowie die Bestuhlung. An ein Training war nicht zu denken. Etwas konsterniert suchten wir in den "Katakomben" nach den Schlafgelegenheiten für Fahrer, Betreuer und Mechaniker. Man wies uns missmutig etwas zu, aber bis zum eigentlichen Schlafen hatten wir, nachdem wir uns jeweils provisorisch installiert hatten, noch viermal die Räumlichkeiten zu wechseln. Feldbetten waren da, aber es fehlten die Kissen und Wolldecken. Die Heizung funktionierte auch nicht und die Betonwände waren feucht, Um nicht zu erfrieren zogen wir für die Nacht so alles, was wir an geeigneter Bekleidung hatten, an. Man versprach uns am Morgen, dass bis zum abendlichen Rennbeginn alles besser sein würde. An Parkmöglichkeiten für die Autos der Fahrer und Betreuer dachte man vorerst auch nicht. Anfangs verstellten wir unser Auto so alle 2 Stunden von Parkplatz zu Parkplatz. Als René Pijnen ankam, stellte er sein Auto vor dem Personaleingang kurz ab, um im Innern des Palais seine Betreuer zwecks Entladen des Autos zu holen. Als sie nach draussen kamen, war das Auto weg, abgeschleppt von der Pariser Polizei. Pijnen machte ein weit hörbares Riesentheater und drohte mit Heimreise. Telefone liefen heiss und schliesslich war es Jacques Goddet, der seine Beziehungen zur Pariser Préféctur spielen liess. Nach etwa 3 Stunden stand das Auto wieder da und erst dann begann man mit den Arbeiten für ein abgesperrtes Parkfeld. Pepe Sarroni sah der Sache kopfschüttelnd zu, kehrte um, suchte sich ein Hotel mit Parkplatz und pendelte fortan zwischen Bahn und Hotel per Taxi. Man soll ihm alle diese Spesen vergütet haben. Goddet war es auch, der die noch fehlenden Wolldecken und Kissen organisierte. Ein Camion der Novotel-Hotelkette brachte die Ware noch rechtzeitig vor Anbruch der ersten Renn-Nacht. Weiter ging es mit den organisatorischen Pleiten und Pannen. Ohne Brandursache schlossen sich zwischendurch die Brandtüren und die Sprinkleranlagen gingen los. Das Warmwasser fiel mehrheitlich aus und konnte man endlich duschen, lief das Wasser nicht ab, denn die Syphons waren noch mit Bausand verstopft. Auf den WC`s das gleiche Drama. Die Wasserpegel stiegen an und zwar so, dass die Pariser Feuerwehr ihre Pumpen einsetzen mussten. Die Telefone, damals gab es noch keine Handys, funktionierten alle nicht ausser einem, dessen Münzautomat jedoch defekt war. Telefonieren konnte man an diesem trotzdem, ja sogar gratis. Die Rennfahrer fanden das schnell einmal heraus und standen davor Schlange und zwar in der Reihenfolge der fahrerischen "Hackordnung". Zuvorderst der Australier Danny Clarc, der jeden Tag zuerst einmal mindestens 1 Stunde nach Hause zu telefonierte. |
Die Geraden der Bahn waren konstruktionsbedingt etwa 1,8 m höher als der Innenraum. Das heisst, um von der Piste zum Fahrerlager hinunter zu kommen, sollten mindestens 2 Treppen da sein. Die aber vergass man zu bauen. Die Fahrer hatten sich
auf den vom Bau noch übrigen, schwankenden "Hühnerleitern" zu bewegen. Wir Mechaniker bildeten jeweils eine Menschenkette, um die Velos auf und von der Bahn zu heben. Am andern Tag baute man aus Holz provisorische Treppen, vergass dabei aber die Geländer. Die Treppenstufen waren so glatt, dass einige Fahrer mit ihren Rennschuhen abrutschten und sich dabei verletzten. Alles was von Anfang bis zum Schluss immer perfekt funktionierte, war das Abspielen der Marseillaise und die von Deutschland angereiste Rennfahrerküche. So von der vierten Nacht an schien sich so langsam alles zu normalisieren und die schlimmsten Bauschäden waren behoben. Wir im Fahrerlager bekamen noch hohen Besuch. Monsieur Jacques Goddet erschien mit Jacques Chirac, dem damaligen Bürgermeister und späteren Ministerpräsidenten von Frankreich. Er sprach mich an und wir wechselten einige Worte. Er verabschiedete sich von mir, welche Ehre, mit einem Handschlag. Sportlich funktionierte von Anfang alles und es wurde schnell und erbarmungslos gefahren. Ein hoher Geldpreis wurde für die schnellste Runde ausgesetzt. Gefahren wurde nach dem KO-Prinzip. Am Schluss blieben noch Robert Dill-Bundi und der Däne Gert Frank übrig. Vor seinem entscheidenden Lauf wies Robert uns Mechaniker an, die unter den Kurven abgestellten Velos von der Bahn zurück zu setzen, damit er so weit wie möglich unten fahren könne. So fuhr er die absolut beste Rundenzeit. Sieger des ersten Pariser 6-Tagerennens der Neuzeit wurde Francesco Moser, der direkt nach seinem gelungenen Weltrekordversuch in Mexiko nach Paris kam, mit seinem Partner Didi Thurau. Leider wurde nach der zweiten Austragung das Pariser 6-Tagerennen "begraben", das Zuschauerinteresse war zu gering. |